Serbien nach Djindjic
  Kann sich das Land aus den Klauen der Mafia befreien?
 
  Straßensperren, überall schwer bewaffnete Soldaten - der Staat schlägt zurück: Nach dem Mord an Zoran Djindjic herrscht in der serbischen Hauptstadt Belgrad Ausnahmezustand. Nach den tödlichen Schüssen auf den beliebten Politiker wird schnell gehandelt.
 
     
 
 
  Belgrad bebt. Ein Gespräch mit der Dramatikerin Biljana Srbljanovic (Oktober 2000)
  Die Polizei zerstört Häuser mutmaßlicher Mafia-Mitglieder. In einem anderen Stadtteil wird der Palast der Pop-Queen Ceca, der Frau des inzwischen erschossenen Mafiabosses und Kriegsverbrechers Arkan, durchsucht. Sie soll eine Affäre mit dem mutmaßlichen Haupttäter Legija, dem Legionär, gehabt haben. Über die serbische Mafia hat der Dokumentarfilmer Janko Baljak einen Film gedreht. In seinem 1998 veröffentlichten Werk "Wir sehen uns in den Todesanzeigen" porträtiert er mehrere Mitglieder der Belgrader Mafia-Clans. Bis zur Fertigstellung seines Films wurden 13 von 15 der Befragten ermordet.

Baljak hat direkte Verbindungen zwischen der Mafia und der ehemaligen Regierung unter Milosevic nachgewiesen - und diese sieht er auch im Mordfall Djindjic. "Die Spur führt tief ins alte Regime, es gibt Spuren zu Milosevic, seiner Frau und ihrem Sohn Marco, die für einige politische Morde verantwortlich sind", sagt der Dokumentarfilmer Baljak. "Das Ganze wird auch Auswirkungen auf das Kriegsverbrechertribunal in den Haag haben. Ich kann nur hoffen, dass das nur der Anfang einer langen Kette von Säuberungen ist und der Anfang einer Spur, die eine Reihe weiterer politischer Morde aufklären wird."
 
      Rivalisierende Banden

 
 
Milovan Brkic, Journalist
 
  Ist der Mord an Zoran Djindjic also ein Attentat aus dem Dunkel der Milosevic-Vergangenheit? Rivalisierende Banden aus den Belgrader Vororten Zemun und Surcin kämpfen seit Jahren um die Vorherrschaft in Serbien. Nach der Revolution vom 5. Oktober 2000, als das Belgrader Parlament gestürmt wurde, suchten sie den Anschluss an die neuen Machthaber um den damaligen Oppositionsführer Zoran Djindjic. Nach den Recherchen des Journalisten Milovan Brkic hatte Djindjic um den gewaltlosen Umsturz zu ermöglichen, ein Stillhalteabkommen mit der Belgrader Mafia geschlossen. Und danach ging die Zusammenarbeit weiter.

"Schon am Abend der Revolution vom 5. Oktober sah ich, dass sich Djindjic mit Mafiagrössen traf, die auch Milosevics Regime finanziert hatten", sagt der Journalist Milovan Brkic. "Es gab enge Verbindungen zum Surcin-Clan. Einige der Mafiajungs waren sogar Djindjics Trauzeugen. Er hat mit der Mafia aus politischen Gründen zusammengearbeitet und konnte sich so wenig distanzieren. Ich glaube, dass die Regierung Djindjics für die Mafia zum Problem wurde, als sie neue scharfe Gesetze gegen die organisierte Kriminalität angekündigt hatte." Hat Djindjic die Mafia nur benutzt? Im Kampf gegen das Milosevic-Regime schien manchmal jedes Mittel recht. Damit sollte jetzt Schluss sein. Aber zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen, den Zoran Djindjic am Tage nach seiner Ermordung beginnen wollte, kam er nicht mehr.
 
      Im Stich gelassen

 
 
Veran Matic, Gründer des Radiosenders B92
 
  Der Gründer des legendären regimekritischen Radiosenders B92, Veran Matic, kämpfte wie Djindjic gegen Milosevics Machenschaften und wurde dafür mehrfach verhaftet. Er appelliert an Europa, Serbien im Kampf gegen die Mafia und für die Demokratie nicht im Stich zu lassen. "Mein Eindruck ist, dass der Westen immer mehr über Hilfen spricht, als er sie letztendlich wirklich leistet. Früher, als wir für die Demokratie und gegen Milosevic gekämpft haben, ging die Hilfe nur so weit, dass man überleben konnte", sagt Veran Matic. "Erst durch größere Finanzhilfen waren wir in der Lage, Milosevic zu stürzen. Djindjic hatte ein ähnliches Problem, es ist nicht genug Geld von außen gekommen und gleichzeitig waren die System- und Gesetzesänderungen nicht stark genug, um wirtschaftliche Veränderungen und Investitionen zu bringen. So sehr der Westen uns also geholfen hat, so sehr hat er letztendlich auch geschadet."

Serbien ist also auf sich allein gestellt. Neben wenigen freien Medien sind es vor allem Kulturschaffende wie der Schriftsteller Vladimir Arsenijevic, Gewinner des renommierten Nin-Preises, die an der Vision eines freien, demokratischen Serbien festhalten. "Es ist evident, dass wir uns jetzt in einem Vakuum befinden, und es gab eine große Erschütterung in allen Bereichen der Gesellschaft", sagt Arsenijevic. "Es kommt eine Periode großer Veränderungen auf uns zu, die auch die Kulturpolitik verändern wird. Ich glaube, dass es in Zukunft eine neue Zeitrechnung vor und nach Djindjic geben wird."
 
      Kampf für mehr Demokratie

 
 
Borka Pavicevic, Dramatikerin
 
  Noch weiter denkt die Dramatikerin Borka Pavicevic. Sie kämpft schon seit Jahren für mehr Demokratie in ihrem Land. Sie glaubt, dass der Mord an Zoran Djindjic ein Signal für die Politik, aber auch für die Kultur ist, die Vergangenheit endlich aufzuarbeiten. Pavicevic fordert eine Wahrheitskommission nach dem Vorbild Südafrikas, sonst werde das Land in einem Chaos enden. "Hier in Serbien hat nicht der Staat gegen die Kriminalität gekämpft, sondern der Staat selbst war kriminell. Und die Mafia war ein Teil davon. Man muss damit radikal abrechnen, was unglaubliche Folgen haben wird", sagt Borka Pavicevic. "Sie wissen ja, was Ost-Deutschland während eines ähnlichen Prozesses erfahren musste. Hier zitiere ich einen Satz von Heiner Müller, den auch Djindjic als Philosoph gekannt haben muss - in der Geschichte kann man eine Revolution nicht nur halb vollenden."

Djindjics Weg muss vollendet werden. Fraglich ob es einen ähnlich charismatischen Nachfolger gibt. Doch das Schicksal Serbiens hängt nicht allein von Führungspersönlichkeiten ab. Die demokratischen Institutionen müssen gestärkt werden, auch mit europäischer Hilfe, damit die junge Demokratie auf Dauer überlebensfähig bleibt.